15. November 2021
Die Erkenntnis hat mich morgens getroffen, als ich die Zeitung gelesen habe (ja, so richtig aus Papier). „What?!“, hab ich gedacht – und vermutlich auch gesagt. Es ging um den Ausfall bei Facebook (und damit auch Instagram und WhatsApp) Anfang Oktober. Und darum, wie aufgeschmissen und verzweifelt viele Leute auf einmal waren.
Die einen haben sich Twitter installiert, quasi als Ersatz-Droge, die anderen haben zum ersten Mal seit Langem wieder einen Film richtig gesehen, einige sollen sogar bemerkt haben, dass sie gar nicht alleine in ihrer Wohnung leben… So oder so hat es mich echt schockiert. Und gleichzeitig habe ich mich ertappt gefühlt.
Ja, ich bin Social Media-Beraterin und -Trainerin. Aber dabei ist es mir superwichtig, dass du Soziale Medien FÜR dich nutzt und nicht gegen dich.
Ich habe mal ein bisschen recherchiert, weil mich die Frage beschäftigt hat, wie gefährlich Social Media wirklich ist und was es mit uns machen kann, wenn wir zu viel Zeit dort verbringen.
Der Zusammenhang zwischen Sozialen Medien und Depressionen ist zwar da, aber nur ein Teil der Studien hat gezeigt, dass Facebook, Instagram und Co. wirklich Depressionen auslösen kann. Eine andere Theorie ist, dass Menschen, die eh schon depressiv sind, mehr Zeit in Sozialen Medien verbringen.
Die Universitäten Arkansas und Pittsburgh haben eine Studie mit knapp 1.300 Menschen zwischen 18 und 30 Jahren gemacht. Diese Studie lief sechs Monate lang.
990 derjenigen, die mitgemacht haben, hatten vorher keine depressiven Symptome. Nach dem halben Jahr hatten fast 10 Prozent davon Anzeichen für eine Depression.
Die Wissenschaftler:innen haben dabei auch festgestellt, dass es offenbar einen Zusammenhang gibt: Wer mehr Zeit in Sozialen Medien verbringt, hat ein höheres Risiko, depressive Symptome zu entwickeln.
Das merken wir spätestens dann, wenn wir uns gerade mal wieder dabei ertappen, wie wir gedankenverloren durch den Instagram-Feed scrollen – obwohl wir doch eigentlich was in den Kalender eintragen wollten. Wir wollen checken, wie das Wetter morgen wird – und öffnen Facebook. Ich wette, du kennst das.
Es ist vor allen Dingen eine Sucht nach Likes. In wissenschaftlichen Studien war das schon Thema und dabei ist herausgekommen: Likes wirken bei uns ähnlich wie Schokolade, also direkt auf unser Belohnungszentrum im Hirn. Und wir? Wollen mehr Schokolade!
Wenn wir aber nicht mehr davon bekommen, sondern vielleicht sogar mal weniger (der Insta-Gott bewahre uns davor!), dann ist Achterbahn im Hirn. Dann passiert das Gegenteil von Belohnung. Viele zweifeln an sich selbst, glauben, nicht gut genug zu sein und nehmen es persönlich – obwohl es rein gar nichts über sie als Mensch aussagt.
Ein Grund, warum wir ständig Instagram checken oder durch Facebook scrollen, ist FOMO (= Fear Of Missing Out), also die Angst, etwas zu verpassen.
FOMO heißt, dass du Angst davor hast, dass da irgendwas ohne dich läuft. Du siehst, dass deine Freunde etwas unternehmen – ohne dich. Die Mädels haben sogar Spaß – ohne dich. Das kann dich traurig machen und gleichzeitig dafür sorgen, dass du beim nächsten gemeinsamen Treffen unbedingt etwas posten musst. Der Rest der Welt muss ja wissen, dass du diesmal dabei bist und auch Spaß hast.
Für mich hat FOMO aber noch einen zweiten Aspekt: Unser Gehirn glaubt ernsthaft, dass wir etwas Wichtiges nicht mitbekommen, wenn wir uns nicht ständig durch den Feed wischen. Vielleicht hat Gabi das 25. Foto ihres neuen Welpen gepostet oder Nils hat wieder mal ein richtig peinliches Reel gedreht. Wir wollen es auf jeden Fall wissen!
Den meisten von uns ist das gar nicht bewusst, während wir wieder und wieder die Apps öffnen. Wir machen es einfach. Aus einem undefinierbaren Gefühl heraus.
… und das gibt uns das Gefühl, irgendwie nicht richtig zu sein. Oder zumindest pusht es bei den meisten von uns nicht unbedingt die Laune.
Wir sehen, dass Sandra schon wieder im Urlaub ist, Thomas sich ein neues Auto gegönnt hat, irgendein toxischer Hirni-Coach mit seinen sechsstelligen Umsätzen angibt oder eine Mitbewerberin ihre tollen neuen Kund:innen-Stimmen postet.
Das nehmen wir wahr, verdrängen aber oft genug, was es ist: ein Ausschnitt. Sandra ist ja auch nur gefühlt ständig im Urlaub, weil sie keine genervten Selfies aus dem Büro postet. Thomas hat seine alte Karre vielleicht vorgestern bei einer dummen Aktion zu Schrott gefahren und besagter Coach braucht es halt extrem für sich und sein Ego, seine Umsätze zu posten. Das aber sehen wir alles nicht.
Soziale Medien bestehen aus gephotoshopten Bildern, Filtern und einer Menge Glitzer. Und aus wenigen Minuten eines Tages eines anderen Menschen.
Die Universität Montreal hat eine Langzeitstudie mit rund 4.000 Teenagern gemacht. Sie gehen davon aus, dass es vor allem diese Vergleiche sind, die dafür sorgen, dass Soziale Medien bei uns zu depressiven Verstimmungen führen können.
Sie haben die Teenager vier Jahre lang begleitet und herausgefunden: Je mehr Zeit die jungen Leute mit Social Media verbracht haben, desto stärkere depressive Symptome hatten sie.
Die Forschenden nehmen außerdem an, dass wir bewusst online nach Infos suchen, die unsere Stimmung verstärken. Wenn du also gerade nicht zufrieden mit dir selbst bist, guckst du dir Fotos von schlanken Fitness-Influencerinnen oder erfolgreichen Geschäftsleuten wahrscheinlich noch einmal genauer an.
Wenn wir mal ehrlich sind: Viel zu oft und viel zu lang scrollen wir ziellos durch irgendwelche Feeds, sehen uns mehr oder weniger lustige Videos an und gucken in den Storys anderen Menschen beim Leben zu.
Was dabei passiert: Wir leben unser eigenes Leben nicht mehr.
Wir konzentrieren uns nicht auf unsere Arbeit, sprechen in dieser Zeit nicht mit dem Partner oder unseren Freundinnen, beschäftigen uns nicht mit unserer Familie oder gehen einem Hobby nach, das uns gefällt.
Es ist weniger Zeit für uns, sondern mehr Zeit für die Sozialen Medien. Sie werden so zum Selbstzweck.
2020 haben die Menschen weltweit rund zweieinhalb Stunden täglich mit Sozialen Medien verbracht.
In Deutschland waren es knapp anderthalb Stunden.
In der Zeit kannste auch einen guten Film gucken, eine spannende Doku, ein hilfreiches Buch lesen, dich mit einer Freundin treffen oder mit deinen Eltern telefonieren.
Die Forschenden haben dazu 143 Studierende beobachtet. Die hatten sie vorher in zwei Gruppen unterteilt: Die eine Gruppe sollte nur noch 30 Minuten pro Tag bei Instagram, Facebook, TikTok usw. unterwegs sein. Die andere Gruppe durfte so weitermachen wie bisher.
Nach drei Wochen haben sie schon festgestellt: Diejenigen, die nur 30 Minuten online waren, hatten anschließend weniger Probleme mit Depressionen und Einsamkeit. Außerdem hatten sie insgesamt weniger Sorgen und Ängste – und weniger FOMO.
Ich saß neulich auf dem Zahnarztstuhl und hatte mein Lätzchen schon um. Bevor ich „Aaaahhh“ gesagt habe, hatte ich aber noch eine Frage an den Zahnarzt: Ich hatte mich in letzter Zeit öfter dabei erwischt, dass ich nachts „beiße“. Ich knirsche also nicht richtig (glaube ich), aber ich beiße die Zähne fest zusammen. Was natürlich nicht unbedingt guttut oder gesund für die Zähne ist.
Mein Zahnarzt hat mir dann erklärt, dass immer mehr Menschen nachts beißen und knirschen. Früher war das wohl die Ausnahme. Er meinte, dass er das gerade bei Jüngeren beobachtet, die viel am Smartphone oder vor irgendwelchen Bildschirmen hängen. Unser Gehirn ist einfach nicht für so viele Reize gemacht. Deshalb hat es nachts mehr damit zu tun, sie alle zu verarbeiten.
Und dann fangen wir unter anderem an zu knirschen oder zu beißen.
Außerdem…
Wie der Punkt davor auch betrifft das nicht ausschließlich Soziale Medien, sondern insgesamt zu viel Smartphone- oder Bildschirm-Zeit.
Das liegt zum einen daran, dass das Licht der Bildschirme dafür sorgt, dass wir weniger vom Schlafhormon Melatonin herstellen. Dann fällt uns das Einschlafen und Durchschlafen viel schwerer. Und was machen viele von uns, wenn sie nicht einschlafen können? Noch mal schnell durch Instagram scrollen…
Zum anderen kann es natürlich auch sein, dass wir uns kurz vorm Einschlafen bei Instagram oder Facebook noch aufregen. Über einen blöden Kommentar, eine Diskussion oder – im schlimmsten Fall – Cybermobbing. A propos…
Das ist gerade für Jugendliche ein Problem. Erstens sind in dem Alter noch viele Leute unterwegs, die sich irgendwie profilieren müssen. Am besten online und einigermaßen anonym. Zweitens sind Jugendliche oft eher verunsichert und können sich weniger gut von anderen abgrenzen. Der Wunsch, dazugehören zu wollen, ist bei ihnen besonders stark ausgeprägt.
Wenn sich eine Gruppe Jugendlicher zusammentut und abspricht, können sie eine:n andere:n regelrecht fertig machen. Die Kommentarspalten vollspeien, beleidigende Nachrichten schicken, unvorteilhafte oder manipulierte Fotos veröffentlichen…
Dazu kann ich nur sagen, dass ich sehr froh bin, dass es bei uns damals nur den Schulhof gab. Der war schon schlimm genug. Heute ist dieser Schulhof überall und riesengroß.
Ich finde es gut, dass Instagram die Profile von Jugendlichen zum Beispiel grundsätzlich als „nicht-öffentlich“ einstellt. Das ist ein kleiner Schritt. Beleidigende Kommentare und Nachrichten sollten auch sofort gemeldet werden, möglicherweise sogar angezeigt, wenn es richtig schlimm wird.
Wichtig ist aber, dass Jugendliche lernen, sehr viel kritischer und souveräner mit Sozialen Medien und eben auch ihren Gefahren umzugehen. Medienkompetenz müsste meiner Meinung nach auch in der Schule noch viel stärker vermittelt werden.
Übrigens: Es trifft nicht nur Jugendliche. Wenn du meine Instagram-Storys verfolgst, hast du mitbekommen, dass ich neulich auch Ärger damit hatte. Irgendwelche Fake-Accounts, die unter einzelnen Beiträgen gepöbelt haben. Frauenfeindlich, persönlich beleidigend und zum Teil einfach nur sinnloser Quatsch.
Das kann passieren, das muss uns bewusst sein. Mich hat’s vermutlich deshalb getroffen, weil ich vorher in meinen Storys über Vorurteile gegenüber selbstständigen Frauen gesprochen und die Reaktionen meiner Community geteilt habe. Ich werde deshalb aber nicht aufhören, meine Meinung zu sagen oder für Themen einzustehen, die mir wichtig sind.
Die Profile habe ich gemeldet und blockiert, die Kommentare gelöscht. Schlimmstenfalls muss es eine Anzeige sein.
Nein, wir müssen Soziale Medien nicht komplett verteufeln. Im Gegenteil: Es gibt auch die andere Seite, positive Beispiele.
In Facebook-Gruppen können sich Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen in geschütztem Raum austauschen, zum Beispiel auch über Ängste und Depressionen. Das ist eine wichtige Möglichkeit für Betroffene, sich ehrlich mitzuteilen und Menschen kennenzulernen, denen es genauso geht.
Bei Instagram gibt es so wertvolle Kanäle, die zu wichtigen Themen tolle Inhalte teilen. Ein Beispiel, das mir spontan einfällt, ist Louisa Dellert. Es gibt Influencerinnen, die bewusst unperfekte Körper zeigen (so wie wir alle unperfekte Körper haben), zum Beispiel Celeste Barber, die ich einfach für ihre großartigen Videos liebe. Zum Thema psychische Gesundheit postet unter anderem Diana zur Löwen mittlerweile sehr viel.
Wir können uns also mit Sozialen Medien auch weniger allein fühlen. Verstandener. Angenommener mit unseren Problemen, die andere in unserem realen Umfeld vielleicht nicht kennen. Dieser Austausch kann wertvoll sein und uns weiterhelfen.
Wichtig ist mir, dass wir dabei auf uns aufpassen. Wir sollten uns bewusst machen, wie viel Zeit wir wirklich mit Social Media verbringen und was wir da eigentlich tun. Die Zeit verdaddeln und uns – zum Teil unbewusst – herunterziehen lassen „dank“ sozialer Vergleiche? Oder nutzen wir die Apps aktiv für uns (und unser Business), aber effektiv und mit zeitlichem Limit?
Ich bin für Letzteres!
Deshalb teile ich im nächsten Blog-Artikel die besten Tipps meiner Community und von mir, um Soziale Medien gesünder (und weniger) zu nutzen.
Die erwähnten Studien habe ich in Artikeln der AOK und von "jetzt" gefunden. Die Fotos sind von Pixabay.
Blog-Artikel "Selbstdarstellung in Sozialen Medien: 10 Ideen für dich, wenn du nicht vor die Kamera willst"
Blog-Artikel "Soziale Medien gesund nutzen: Die 7 besten Tipps meiner Community"
Podcast-Folge "Social Media achtsam nutzen: Wertvolle Tipps für deine mentale Gesundheit"
Ich unterstütze selbstständige Berater:innen und Coaches dabei, online besser gefunden zu werden - und so zu ersten Wahl für ihre Zielgruppe zu werden.
Dafür brauchst du:
Klingt genaurichtig für dich? Dann lerne mich doch ein bisschen besser kennen!